Wessen Welt ist die Welt?

Wessen Welt ist die Welt?
Ernst Busch im 21. Jahrhundert
von Eckhard Franke, Dr. Carola Schramm und Sascha Schneider

Ernst Busch (1900 – 1980), legendärer Schauspieler, Sänger und Revolutionär des 20. Jahrhunderts, hat sich mit seiner Kunst für eine neue, sozialistische Welt eingesetzt, gestritten und gelitten. Er sang in der Weimarer Republik vor proletarischem Publikum, beteiligte sich am spanischen Bürgerkrieg gegen die Faschisten, war ein populärer Sänger und Schauspieler weit über die Grenzen politisch interessierter Kreise hinaus.

Busch war ein Mann mit Ecken und Kanten, ein selbständig denkender Revolutionär, der auf seine schroffe Art gegen administrative Verhältnisse und kleingeistige Funktionäre der SED rebellierte, wohl wissend auch um den Widerspruch zwischen Idee und Realität.
Wie stehen wir Heutigen zu diesem Erbe? Um diese Frage ging es am 27. September bei der Buchlesung der Ernst-Busch-Gesellschaft im Berliner TREFF international. Die NümmesBänd kommentierte musikalisch.

Carola Schramm, Musikwissenschaftlerin und Sascha Schneider, Kommunikationswissenschaftler, lasen aus dem Buch „Wessen Welt ist die Welt?“ Die Ernst Busch-Gesellschaft legte damit ein „Echo von Nachgeborenen“, eine Zusammenfassung des Ernst-Busch-Festivals von 2010, vor. 31 Künstler und Wissenschaftler sowie 15 künstlerische Gruppen waren an diesem Festival beteiligt, u.a. auch die Straßenband Nümmes. Wortmeldungen von jung und alt, aus Ost und West, Kritisches, Nachdenkliches, Kämpferisches und Anregendes zeugen von heutigen Haltungen und Handlungen.

Darüber hinaus wurden neue Erkundungen, Ereignisse und Forschungen zu Ernst Busch und seinem Nachleben in unserem Jahrhundert vorgestellt. So schrieb Carola Schramm über die spannende Geschichte eines 10 Jahre dauernden Kampfes um die Benennung eines Platzes nach Ernst Busch in seiner Geburtsstadt Kiel. Kieler Bürgerinnen und Bürger konnten sich gegen wütende antikommunistische Kräfte durchsetzen und die Erinnerung an Ernst Busch im Straßenbild lebendig halten. Wie groß muss doch die Angst des heute allein herrschenden Finanzkapitals vor Aufständen in der Zukunft sein! Warum sonst haben sie den Namen des Platzes des Kieler Matrosenaufstands zum Platz der Kieler Matrosen verstümmelt, verharmlost und seines historischen Bezuges entledigt? Ähnliches geschah auch in Berlin mit dem Platz des 18. März 1848, der als Platz des 18. März jedes Bezuges zu revolutionären Traditionen beraubt wurde.

Die Lesung war auch spannend, weil kontroverse Standpunkte vorgetragen wurden, die zu Diskussion und eigenem Denken herausforderten. Zitiert wurde Stephan Uhlig, Sänger des Bremer Eisler Ensembles, der Busch verehrt, aber für sich feststellt: „So geht das nicht mehr… es ist nicht nur das Pathos, es ist auch ein bestimmtes Geschichtsbild,… ein Heroismus, den man heute hinterfragen muss. Auch muss man hinterfragen, ob man für ein zukünftiges Ziel sein Leben in einem leidvollen Prozess opfern kann.“
Im Kontrast dazu wurde Eckhard Franke von der Gruppe Nümmes zitiert: „Aber der revolutionäre Geist von Ernst Busch, der ist und wird wieder aktuell. Man wird sich wieder auf Kämpfe einstellen, wir brauchen nur nach Griechenland zu schauen. Diese Weltwirtschaftskrise ist noch nicht zu Ende. Lassen wir uns nichts vormachen! Das dicke Ende kommt noch. Gewaltige Klassenkämpfe kommen auf uns zu.“
Interessant ist, wie Ernst Busch weit über linke, kommunistische Kreise hinaus wirkte und heute noch wirkt. Eine Folge davon ist, dass eine Reihe Bewunderer von diesem großen Künstler ihn für ihre Zwecke zurechtstutzen, aus den seinen politischen Zusammenhängen herauslösen, so dass am Ende nur ein ‚Ernst Busch’ übrig bleibt, der für eine „gerechtere, friedliche Welt“ und gegen den ‚Nationalsozialismus’ aufgetreten ist. Das spielt natürlich denen in die Hände, die damit gescheitert sind, das „Gespenst des Kommunismus“ vom Erdboden zu vertilgen. Dieses Bild von Ernst Busch zeichnet einen Revolutionär, dem man die revolutionären Zähne gezogen hat und heute als nicht mehr zeitgemäß gelten soll.
Durch die Lieder „Der Graben” und „Ballade vom Weib und den Soldaten” wurde deutlich, dass Ernst Busch keineswegs nur auf „Arbeiterkampflieder” und revolutionäres Pathos zu reduzieren ist. Und die NümmesBänd konnte von ihren Auftritten bei den erfolgreichen Massenblockaden in Dresden gegen Faschistenaufmärsche berichten, wie Jugendliche heute begeistert werden können für neue, rockige Interpretationen z.B. von „Resolution der Kommunarden”, der „Moorsoldaten” oder des „Solidaritätsliedes”. Wenn es uns gelingt den „Ton der Zeit” („Lied der Zeit” hieß die Schallplattenfirma, die Busch in der DDR gegründet hatte) zu finden – dann werden Buschs Lieder auf neue Art lebendig.

Wer ist unser Gegner? Stephan Uhlig sieht den Gegner nicht mehr wie Ernst Busch in der herrschenden Klasse, sondern in uns, „die menschlichen Abgründe, die die kapitalistische Welt lebbar macht und bedient.” Daraufhin meldete sich Ernst Busch im Originalton zu Wort mit Brechts Gedicht: „Gegen die Objektiven”: „Wenn die Bekämpfer des Unrechts ihre verwundeten Gesichter zeigen,
ist die Ungeduld derer, die in Sicherheit waren groß…”.
Stephan Uhling, so musste man feststellen, hat Brecht falsch verstanden. Brechts Leistung bestand ja unter anderem darin, den Menschen im Spannungsfeld der Ausbeutergesellschaft von „Gutseinwollen” und „Schlechtseinmüssen” zu zeigen. („Der Mensch wäre lieber gut als roh – doch die Verhältnisse sind nun mal nicht so!”)

Klaus der Geiger, der Straßenmusiker aus Köln, wurde zitiert, der bei den Ernst Busch Tagen solchen Deutungen buchstäblich aufs Dach stieg. „Ihr müsst euch aufs Dach stellen und mit Busch auf die heutigen Missstände aufmerksam machen. Ihr solltet nicht in so kleinen abgeschlossenen Räumen bleiben. Raus auf die Straße müsst ihr!” In das gleiche Horn stieß Peter Wawerzinek: „Der gesamte schwarze Block fehlt unentschuldigt! Alt bleibt Kämpfer und Jung ist desinteressiert. Was die Kultur und Hege des Kampfliedes anbelangt, Nullanzeige bei allen Junglinken. Alles Musikbanausen, Rioreiserschatten… Auf die Straße, ihr Arbeiterchöre, ihr sollt euch draußen Gehör verschaffen! Euer Chorgesang soll unser Leben ausdrücken. Ausrufe, Schreie in Reimform wollen wir hören….”
Die Lesung endete mit der Darstellung einiger Aspekte der Geschichte des Solidaritätsliedes, das zu großen Teilen von Ernst Busch im Einverständnis mit Brecht immer wieder aktualisiert und in der heute in fast allen Sprachen der Welt verbreiteten Fassung um die Welt ging.

In der anschließenden Diskussion ging es u.a. darum, wie sich die Widersprüche zwischen Ernst Busch und der SED Führung entwickelten und zu bewerten sind. In den Jahren 1951/52 gerieten Buschs politische und kulturpolitische Vorstellungen mit denen der Parteiführung aneinander. Die anberaumte Parteiüberprüfung schien Busch eine geeignete Möglichkeit zu sein, Klarheit zu schaffen. Busch hatte den Spieß umgedreht und selbst Fragen gestellt. Jedoch kam eine Klärung nicht zustande. Stattdessen war die Legende vom Parteiausschluss geboren.
Hier öffnet sich ein interessantes Feld für die Busch-Forschung. Auch wäre interessant zu klären, inwieweit Busch gespürt oder analysiert hat, wie sich seit dem XX. Parteitag der KPdSU die kleinbürgerliche Denkweise bei den Verantwortlichen in Staat und Wirtschaft durchgesetzt und sie sich zu einer Bourgeoisie neuen Typs entwickelt haben.
Auf die Frage, ob sich die Ernst Busch-Gesellschaft als Nachlassverwalter versteht, antwortete Sascha Schneider, dass die Busch-Gesellschaft mit ihrer Arbeit die Traditionen der sozialistischen Kultur lebendig halten will, um in den heutigen Kämpfen der Zeit an die ‚Lieder der Zeit’ von Ernst Busch zu erinnern und Neues – im dialektischen Sinne – aus dem Alten entstehen zu lassen. So sei zum Schluss an ein Jean Jaurés erinnert, der sagte: „Einer Tradition treu zu sein, bedeutet, der Flamme treu zu sein und nicht der Asche.”

Bleibt zu wünschen, dass diese Veranstaltung mit Lesung, O-Ton Ernst Busch und musikalischen Kommentaren eine Wiederholung und Weiterentwicklung erfährt.