Theater

Die Mutter – Berliner Ensemble
Premiere 13. Januar 1951

„Ernst Busch, der hatte eine Haltung, eine innere Haltung als Schauspieler, die man in seiner Arbeit sah.“ Das sagte Evelyn Schmidt, Regisseurin der DEFA, einmal zu mir. Dr. Günter Agde beschrieb Buschs Schauspiel in einem sowjetischen Film als ironisch, heroisch und doppelbödig. Beide Aussagen beschreiben wohl Ernst Buschs Arbeit als Schauspieler zutreffend. In seiner Rolle des Semjon Lapkin in Die Mutter von Brecht ließ er Ironie und Heroismus einfließen. „(…) mit einer schwer beschreiblichen Mischung von (…) Spott und meisterhafter Lässigkeit (…) drückt er seine Haltung aus (…)“ (Theaterarbeit. 6 Aufführungen des Berliner Ensembles)mutter

In Buschs Spiel drücken sich Lebenserfahrung und Menschenkenntnis aus, in Buschs Gesängen Heroismus ohne Pathos. Im „Bericht vom 1. Mai“ schildert Busch, wie ein Demonstrationszug von der Polizei aufgehalten wurde. Ernst Busch erlebte eine gleiche Situation 1918 in Kiel.

Ernst Busch spielte schon 1932 in diesem Stück. 1951 war er allerdings zu alt für die Rolle des Pawel Wlassow. Deshalb fügte Brecht die Figur des Semjon Lapkin in sein Stück ein und schrieb so Busch diese Rolle regelrecht auf den Leib. In späteren Inszenierungen ohne Busch taucht diese Figur nicht mehr auf. Busch selbst mischte sich in die Gestaltung des Stückes aktiv ein und half so, dass Stück zu verbessern und glaubwürdiger zu machen. Er hielt es zum Beispiel für falsch, dass nach einer Hausdurchsuchung durch die zaristische Polizei, bei der Hausrat zerstört worden war, die zerschlagenen Dinge nicht von den Genossen ersetzt werden, und forderte Brecht auf, das im Stück zu ändern.

Die Premiere fand am 13. Januar 1951, am Vorabend des Gedenkens an die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, statt – genau wie die Inszenierung  von 1932. Das Berliner Ensemble spielte noch nicht im Theater am Schiffbauerdamm, sondern im Deutschen Theater.

Anfang Januar 1951 verloren die US-amerikanischen Truppen nahezu den koreanischen Boden unter den Füßen, als die Volksarmeen Koreas und Chinas Seoul befreiten. In der Berliner Zeitung und im Neuen Deuschland finden sich dazu Schlagzeilen, die einen baldigen Sieg im Koreakrieg erhoffen lassen.

Der Tagesspiegel, der im übrigen die Premiere des Berliner Ensembles vollkommen unerwähnt lässt, titelte in dieser Zeit mit diesen Meldungen:

„Dritte Schlacht um Söul – Die Stadt aufgegeben – Auch andere Frontabschnitte gefährdet — Schneller Vormarsch der Kommunisten in Korea — Droht Metallarbeiterstreik? — General Eisenhower trifft Franco  — Massenproduktion von Atombomben in Amerika“

Am Tag nach der Premiere erschien im Tagesspiegel ein doppelseitiger Artikel über Papst Pius XII, der mehrfach in seinen Enzykliken die Unvereinbarkeit von Kommunismus und Katholizismus festschrieb, in Zusammenarbeit mit dem US-Geheimdienst CIC Nazis aus Deutschland und Kroatien zur Flucht verhalf und nicht müde wurde, Kommunisten zu verdammen. Der Autor Kees van Hoek nannte seinen rührseligen Papstartikel „Der einsamste Mann der Welt – Papst Pius XII. zu Hause“.

Die BRD erlebte – nach Aufhebung der Produktionsbeschränkungen in der Montanindustrie durch die Westalliierten – den Koreaboom. Deshalb drohte Anfang 1951 ein Streik der Metaller, die höheren Lohn forderten.

In Vietnam kämpften die Kommunisten des Vietminh erfolgreich gegen die französische Kolonialmacht. Die DDR erholte sich langsam aber stetig von den Kriegsschäden. – Kurz gesagt, der Klassengegner hatte allen Grund, Angst zu haben – und die Welt hatte deshalb allen Grund, sich vor einem neuen, atomaren Weltkrieg zu fürchten. In dieser Zeit sollte das Stück auch einen eindringlichen Friedensappell aussenden und ganz sicher auch die Arbeitenden zum Lernen und Denken verführen. Zwei Jahre später wird Brecht in seinen Buckower Elegien schreiben: „Unwissende! schrie ich – schuldbewusst.“

In der Presse der DDR wird die Premiere der Mutter ausgiebig gewürdigt. Das Organ des Zentralkomitees der SED, Neues Deutschland, hadert allerdings mit der Ironie, die sie noch als Überbleibsel einer Absonderung vom Volksinteresse ansieht. An den Anfang wird von der Autorin Johanna Rudolph deshalb eine selbstkritische Reflexion von Johannes R. Becher gestellt, „Auch wir Schriftsteller haben aus dem Vergangenen gelernt. Diese Lehre besteht nicht zuletzt darin, daß der Geist, wenn er sich vom Volksinteresse absondert, unfruchtbar wird und sich selbst zu einer inhaltlosen Spielerei degradiert.“ Sie greift die Inszenierung des Jahres 1932 an als „Andersgeartetheit der künstlerischen Auffassung, die mit den Prinzipien Maxim Gorkis nicht in Einklang stand“. Mithin wird Brecht als Theatermacher dargestellt, der noch teilweise den bürgerlichen Kunstauffassungen verhaftet ist. 1949 trat Alexander Dymschitz, sowjetischer Kulturbeauftragter der SMAD, in der Täglichen Rundschau mit einem Artikel eine Debatte über Formalismus in der Kunst los, die ähnlich schon in den 30er Jahren zwischen Emigranten in der Sowjetunion und in Westeuropa geführt wurde. Im März 1951 fasste das ZK der SED auf seinem 5. Plenum einen Beschluss: Kampf gegen Formalismus in Literatur und Kunst für eine fortschrittliche deutsche Kultur. Die Kritik an Brecht muss in diesem Zusammenhang gesehen werden.

Hervorgehoben wird im ND die Darstellung von Helene Weigel, die als Mutter „doch zur Revolutionärin wird, zur Agitatorin, zu einem Menschen, dessen Leben in jedem Atemzug untrennbar mit der Partei verbunden ist. Ihr Land hat sie zur Revolutionärin gemacht, Rußland, das eine so revolutionäre Arbeiterklasse hervorbrachte, die es verstand, ihre Verbündeten zu erkennen und zu führen, selbst geführt von der Partei neuen Typus, in der sich zum ersten mal konsequent der Sozialismus mit der Arbeiterbewegung verband.“ Nach den Erfahrungen, die Ernst Busch und Erwin Geschonneck in und mit diesem Land machten, müssen diese Worte für sie wie Zynismus geklungen haben.

Welche wichtige Rolle die Bedeutung der Partei hatte, wird im Szenenbild sichtbar, die für den Artikel gewählt wurde: „Der Leiter der illegalen Gruppe der Bolschewiki, Semjon Lapkin (Ernst Busch) hat der Mutter (Helene Weigel) das Parteibuch ausgehändigt.“

Auf der nächsten Seite der gleichen Ausgabe des Neuen Deutschland findet sich unter der Überschrift „Das Mitgliedsbuch der Partei – das wichtigste Dokument“ ein Artikel, der „über die Bedeutung der Überprüfung der Parteimitglieder“ einige falsche Auffassungen über vermeintliche Vorteile einer SED-Mitgliedschaft aufräumen möchte. Offenbar wurde die Parteimitgliedschaft schon seinerzeit als Karrierevoraussetzung angesehen. Diese Überprüfung wollte sich allerdings Ernst Busch nicht gefallen lassen – seine Mitgliedschaft ruhte bis in die 70er Jahre, weil er auch Antworten auf seine Fragen erhalten wollte. Zu fragen, was aus den Genossinnen und Genossen, die das fehlbare Urteil der ‚Sonne der Völker‘ in die Arbeitslager der Sowjetunion schickte, wagte er nicht. Dennoch widmete er seine Spanienplatte 1964 seinen Genossen aus der Spanienzeit, Maria Osten und Michail Kolzow. Beide wurden vom NKWD verhaftet und später erschossen.

Paul Rilla von der Berliner Zeitung sieht „Ernst Busch nicht nur (als Schauspieler, Anm. d. Red.) mit seiner großartigen Stimme, sondern auch mit einer physiognomischen Festigkeit, die darstellerischer Takt ist. (…)“ Die BLZ schreibt weiter: „Damals, nach der ersten Berliner Aufführung, fand die bürgerliche Kritik, es sei nicht nur ein Stück für primitive Hörer, sondern das Stück eines primitiven Autors. Das Stück trifft heute in eine andere Zeit, seine unveränderte Gestalt stellt sich unter veränderten Aspekten dar. Daß die Gestalt sich in der neuen Wirkung nicht aufhebt, ist der Beweis für die Richtigkeit des Stückes. Denn das Stück besagt, daß Schweres schwer errungen wurde, und es besagt, daß das Errungene eine revolutionäre Errungenschaft ist, die uns immer vor die Entscheidung stellt. Das Schwere ist leichter geworden, seit wir so glücklich sind, das Errungene zu besitzen. Aber leicht besitzen wir nicht, was durch solche Opfer erkauft wurde. Der Aufbau des neuen Lebens ist, wie es im Stück heißt, das Einfache, das zu machen schwer ist. Die schwere Aufgabe wird einfach in dem Beispiel jener revolutionären Kämpfer. (…) die Kämpfer der russischen Revolution (waren) auch unsere Kämpfer(…),die historische Unwiderleglichkeit der sowjetischen Entscheidung (ist) auch unsere Entscheidung (…)“

Sascha Schneider